Fallstudie THW: Menschenleben und wertvolle Kulturgüter gleichzeitig schützen

Das Technische Hilfswerk (THW) nutzt laserscanning Technologie von Leica bei komplexem Brand.

German Federal Agency for Technical Relief (THW) employs Leica's laser scanning technology during a complex fire scene

Im September 2021 hat ein Brand das älteste Haus in der Karolinenstraße in der Augsburger Innenstadt zerstört. Mithilfe einer Scanning-Totalstation von Leica Geosystems ist es dem Technischen Hilfswerk (THW) gelungen, die Einsatzkräfte zu schützen und ein historisch bedeutsames Artefakt zu retten. Der 3D Scan der Fassade unterstützt jetzt den Wiederaufbau.

 

Bei der Leitstelle Augsburg (Bayern) gehen am Freitag, 10. September 2021, gegen 17.20 Uhr mehrere Notrufe ein. Die Anrufenden melden einen Wohnungsbrand an der historischen Karolinenstraße. Aufgrund vieler weiterer Notrufe bietet der Einsatzleitdienst rasch einen zweiten Löschzug auf. Beim Eintreffen der ersten Einsatzkräfte drängt an der Vorderseite bereits dichter schwarzer Rauch aus dem ersten Dachgeschoß.

Leica-THW_Augsburg_Dachgeschoss-Rauchentwicklung

 

Hier kam es zum Brandausbruch, wie sich später herausstellt. Ob sich noch Personen im oberen Teil des Hauses befinden, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Sofort gehen zwei Trupps zur Menschenrettung und Brandbekämpfung über das Treppenhaus in das erste Dachgeschoß. Gleichzeitig wird von außen über die Drehleiter gelöscht. 

Komplexe Löscharbeiten eines dynamischen Brandes

Nach rund einer halben Stunde scheint der Brand gelöscht. Alle Personen im Haus konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Dachstock und Wände strahlen aber weiterhin enorm Wärme ab, der Brand zeigt wieder mehr Dynamik.

Leica-THW_Augsburg_Brand zeigt wieder mehr Dynamik

Durch Wandhohlräume und die bauliche Substanz etablieren sich schwer kontrollierbare Ventilationspfade und «Feuerbrücken». Plötzlich brennt auch der Keller. «Obwohl die Feuerwehr mit Schwerschaum gelöscht hat, bekommt man einen solchen Brand nur schwer in den Griff», erklärt Kevin Kärcher, THW-Fachberater im Ehrenamt im Technischen Hilfswerk beim Ortsverband Weingarten. Er war bei diesem Brand in Einsatz und erlebte mit, wie stark die Einsatzkräfte gefordert waren. «Die Löscharbeiten waren mit Standardvorgehen nicht zu bewältigen und gestalteten sich sehr komplex, da bauartbedingt kaum ein Vordringen zu den Glutnestern möglich war. Vor 300 Jahren wäre bei einem solchen Brand die halbe Stadt zerstört worden», ist Kärcher überzeugt. Gegen 22.30 Uhr wird der Innenangriff zum Schutz der Feuerwehrleute abgebrochen. Durch die Dauer und Intensität des Brandes droht das Gebäude immer instabiler zu werden.

Entscheid: Abriss des Gebäudes

Am Samstagmorgen beginnen Fachleute mit dem Abbruch des Hauses, um den Brand vollständig unter Kontrolle zu bringen. Für den Abbruch wird ein 70-Tonnen-Kettenbagger organisiert.

THW_case study_Leica_Augsburg_Für den Abbruch wird ein 70-Tonnen-Kettenbagger organisiert

Damit das Schwergewicht die Fahrbahn nicht beschädigt, wird ein 50 cm hohes Kiesbett aufgeschüttet. Zwischenzeitlich installiert der THW-Ortsverband Weingarten ein lasergestütztes Einsatzstellensicherungssystem (ESS).

Leica-THW_Augsburg_Installation des lasergestütztes Einsatzstellensicherungssystems_ESS

Dafür arbeitet das THW Hand in Hand mit der Berufsfeuerwehr Augsburg. «Die Standsicherheit des Gebäudes musste vom Eintreffen bis zum Niederlegen des Gebäudes permanent geprüft werden. Daher stellten wir die Messstation so auf, dass die Gebäudefront und die Dachstuhlseiten im hinteren Gebäudebereich sichtbar waren», sagt Kevin Kärcher.

Leica-THW_Augsburg_Standsicherung des Gebauedes mit Leica MS50

Die Messprismen werden unter Atemschutz über eine Feuerwehrdrehleiter an das Gebäude angebracht. «Die Messpunkte M1 und M2 an der Gebäudefront haben wir mittels Cyanacrylat und Aktivator angeklebt, M3 und M4 mit je zwei Schrauben am Dachstuhl befestigt. Den Kalibrierpunkt klebten wir am Nebengebäude mit PU90 (Polyurethan-Klebstoff) an, um die eigene Standsicherheit der Messstation zu kontrollieren.» So entsteht ein Referenzsystem mit drei Prismen jeweils im 90° Winkel zur Messstation.

Leica-THW_Augsburg_Messprismen werden angebracht

 

Gefahrenlage mit Hilfe von Technologie richtig einschätzen

Das THW analysiert die Gebäudestruktur permanent und führt alle 15 Minuten eine Referenzierung in zwei Lagen durch, um die Höhen- und Querverschiebungen des Gebäudes zu überwachen. Bei einer unkontrollierten Bewegung von Gebäudeteilen und einer akuten Einsturzgefahr hätte das THW sofort warnen können. Hier liegt auch die Hauptaufgabe des THW, erklärt Kevin Kärcher: «Das ESS und unsere Arbeit dienen in erster Linie dem Schutz der Einsatzkräfte. Sie vertrauen uns ihr Leben an. Dies erfordert ein Höchstmaß an Professionalität, Verlässlichkeit und Umsetzungsstärke in der Mannschaft und bei der Ausstattung.» In Augsburg wurde die Leica Nova MS50 MultiStation eingesetzt.

«Um Gefahrenlagen richtig einschätzen zu können, müssen wir in der Lage sein, viele Informationen in so kurzer Zeit wie möglich zu sammeln und komplexe Strukturen messen und einfangen zu können.
Das ermöglicht uns diese Multistation, die eine Totalstation und einen Laserscanner in einer Plattform kombiniert.»

Leica-THW_Augsburg_Einschätzung der Gefahrenlage mit Leica MS50

Kevin Kärcher beginnt mit einer einlagigen Messung, um einen schnelleren Messzyklus zu generieren. Aufgrund der hohen Rauchentwicklung stellt er im Einsatzverlauf auf eine zweilagige Messung um. Damit konnte das Messrauschen verkleinert werden. Die Messpunkte M3 und M4 werden am Ende des Messablauf permanent in einer Lage gemessen, um wieder eine höhere Messfrequenz zu erhalten. Die Multistation trotzte äusseren Einflüssen, wie Kevin Kärcher bestätigt: «Die Messdaten und das Messequipment lieferten klare Daten – trotz Rauchentwicklung und Staub beim Niederlegen des Gebäudes durch eine Spezialfirma.» Die Messung zeigt im Überwachungszeitraum vor dem Gebäuderückbau keine signifikante Bewegung.

Retten und Arbeiten in Trümmern ermöglichen

Beim Brand in Augsburg erfüllte das ESS mehrere Aufgaben, erklärt Kevin Kärcher. «Vorab ging es wie angesprochen darum, die Einsatzkräfte zu schützen. Wir überwachten daher die Gebäudebewegungen, um Arbeiten im Trümmerschatten in der Karolinenstraße zu ermöglichen. Dies war notwendig, um die anhaltenden Löscharbeiten in den unzugänglichen Bereichen ausführen zu können. Es ging darum zu retten, was zu retten war.» 

Leica-THW_Augsburg_Sicherung der Madonna

Das galt auch für einen besonderen Artefakt. Die «Karolinenstraße 15» war das älteste Haus in der Straße und nur eines von zwei Gebäuden, die die Augsburger Bombennacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 überstanden hatten. Teile des denkmalgeschützten Gebäudes stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Besonders markant war der geschweifte Zwerchgiebel mit wertvollen barocken Hausmadonna aus dem 18. Jahrhundert. «In einer einzigartigen Aktion haben Steinmetze und Feuerwehrleute die historisch bedeutsame Madonnafigur gesichert und heruntergeholt. Das war ein besonderer Moment in der Überwachungsphase», erinnert sich Kevin Kärcher.

3D Visualisierung hilft beim Wiederaufbau

 

Leica-THW_Augsburg_3DScan_1

Viewing Point Cloud Data On-site

Mit der Leica Nova MS50 MultiStation hat das THW die denkmalgeschützte Fassade mit mehreren Scans erfasst und als hochgenaue 3D Punktwolke festgehalten.

Leica-THW_Augsburg_Messdatenanalyse - Datenauswertung - 3DScan

Für den Bereich der Zwerchgiebel wurde eine feinere Auflösung gewählt, um die Konturen für das Denkmalamt zu sichern. «Ein wichtiger Nebeneffekt, den wir an der Scanning-Totalstation von Leica so schätzen, ist die Möglichkeit, die gescannten Punktwolkendaten mit der Software Leica Captivate vor Ort anzusehen», ergänzt THW-Fachberater Kevin Kärcher, der bereits rund zweieinhalbtausend Stunden selber vermessen hat. «Die benutzerfreundliche Feldsoftware stellt einfach zu verstehende Daten in 2D und 3D für jede Art von Vermessungsprojekt bereit.» Im Falle von Augsburg entstand ein detailliertes virtuelles Abbild der Fassade, das nun beim Wiederaufbau wertvolle Unterstützung leistet. 

Übrigens: Brandursache war ein Defekt beim Aufladen eines privaten E-Roller-Akkus. Kleine Ursache, großer Schaden.

 

Zusammenfassung

Der Brand des historisch bedeutsamen Hauses in Augsburg hat deutlich gemacht, wie wertvoll die Unterstützung des THW ist und wie unverzichtbar die MS50 Scanning-Totalstation von Leica Geosystems bei Einsätzen wurde, bei denen die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Die Technologie hilft Leben zu retten, die Einsatzkräfte zu schützen und wertvolle Kulturgüter zu bewahren.

 

Pressespiegel:

https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-brand-in-augsburgerinnenstadt-haus-wird-abgetragen,SinZAoO
https://presse-augsburg.de/ein-stueck-augsburger-stadtgesichte-vernichtetaeltestes-haus-in-der-karolinenstrasse-nach-brand-abgebrochen/749268/
https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Augsburg-Feuer-inKarolinenstrasse-zerstoert-bedeutendes-Baudenkmal-von-Augsburgid60527991.html
https://radioschwaben.de/nachrichten/augsburg-dachstuhlbrand-in-derkarolinenstrasse/
https://www.bild.de/regional/muenchen/muenchen-aktuell/feuer-inaugsburger-innenstadt-loescharbeiten-dauern-an-77645750.bild.html
https://www.sueddeutsche.de/bayern/feuerwehreinsatzdenkmalgeschuetztes-haus-brennt-24-stunden-lang-in-augsburg-1.5407870
https://www.br.de/nachrichten/bayern/brand-in-augsburg-einsatz-derfeuerwehr-ist-extrem-aufwaendig,Sigl5jV

Kontakieren Sie uns für mehr Informationen.
Folgen Sie unserem Public Safety, Security and Forensics Kanal auf LinkedIn.

 

Zur Person

THW OV Weingarten - Kevin Kärcher im Interview with Leica Public Safety

Kevin Kärcher ist seit 1998 THW-Fachberater im Technischen Hilfswerk beim Ortsverband Weingarten (Baden-Württemberg) im Ehrenamt. Sein Arbeitgeber ist Schuler Pressen GmbH, der weltweit grösste Pressen- und Umformhersteller mit über 5'000 Mitarbeitenden. Als Head of Engineering führt Kevin Kärcher dort die Abteilungen Mechanik, Elektrik und Real Time. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule Ravensburg-Weingarten im Bereich Umformtechnik und Umformmaschinen. Der 45-jährige lebt mit seiner Familie bei Weingarten.

 

About the THW

THW logo - Leica Public Safety


Das Technische Hilfswerk (THW) ist die Einsatzorganisation des Bundes und gehört zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Das THW unterstützt seit mehr als 70 Jahren Menschen in Not durch technische Hilfe. Seine Struktur ist weltweit einmalig, denn 98 Prozent der Angehörigen engagieren sich ehrenamtlich im THW. Die bundesweit 88’000 ehrenamtlichen Angehörigen sind in bundesweit verteilten 668 Ortsverbänden organisiert. Unterstützt werden sie von den mehr als 2’100 hauptamtlichen Mitarbeitenden.
 
 

Author:Manuel Huber
www.huberkom.ch

Editor: Malgorzata Krol
Global Director Marketing Communications - Public Safety & Forensics
Hexagon Geosystems

 

Kontaktieren Sie unsere Experten für Öffentliche Sicherheit und Forensik

Beratung auf Augenhöhe von erfahrenen Experten für Öffentliche Sicherheit
Beratung auf Augenhöhe von erfahrenen Experten für Öffentliche Sicherheit

Brand- und Explosionsermittlung

Wenn alles mit Ruß bedeckt und von Feuer und Rauch geschwärzt ist, wie kann dann ein Brandort dokumentiert werden?
Wenn alles mit Ruß bedeckt und von Feuer und Rauch geschwärzt ist, wie kann dann ein Brandort dokumentiert werden?

Erstellen Sie mit uns Ihren digitalen forensischen Zwilling!

Unsere Blog-Artikel erklären die Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile unserer Digitalisierungstechnologien für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.
Unsere Blog-Artikel erklären die Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile unserer Digitalisierungstechnologien für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Wissensdatenbank

Sie möchten über herkömmliche manuelle Dokumentationsmethoden hinausgehen oder Ihre Kenntnisse in Bezug auf die 3D Dokumentations-Technologie verbessern?
Sie möchten über herkömmliche manuelle Dokumentationsmethoden hinausgehen oder Ihre Kenntnisse in Bezug auf die 3D Dokumentations-Technologie verbessern?